Sonntag, 1. Juli 2007

Religion und öffentliche Ordnung

In den Straßen laufen viele Frauen mit Kopftuch und langen Gewändern herum, das ist ähnlich wie bei uns in Remscheid, aber es ist völlig anders als in dem Istanbul von vor 36 Jahren, wo ich mich nicht erinnern kann, Frauen mit Kopftüchern gesehen zu haben. Ich schätze, daß es wie unter den Türken in Deutschland etwa ein Viertel der weiblichen Bevölkerung ist, der sich mit dem für uns ja immer etwas verwirrenden, weil nicht eindeutigen Zeichen von Frömmigkeit oder Traditionalität oder auch weiblicher Unterwerfung schmückt. Man weiß nicht, was die Frauen mit den Tüchern im Einzelnen zum Ausdruck bringen wollen, aber es fließt doch alles in den Gesamteindruck ein, daß der Islam heute in Istanbul eine stärkere Rolle im Leben der Menschen spielt als früher.


Ein weiteres äußeres Zeichen für die Rückkehr des Islam ist das frische Gold, das auf den meisten Moscheen den Halbmond oben auf der Kuppel glänzen läßt. Ich bin nicht sicher, ob es echtes Gold oder nur Messing ist, aber es leuchtet sehr hell und sehr sauber, wobei nicht nur der Halbmond, sondern auch der breite Fuß, auf dem er befestigt ist, mit diesem Gold überzogen ist.

Wenn dann unten auf der Straße der Verkehr geordnet fließt, saubere Straßenbahnen über freie Gleise fahren – daß es an den Wagen und den Einrichtungen der Bahn keine Grafittis gibt, wird mir erst jetzt, beim Schreiben bewußt, so selbstverständlich erscheint es – dann verbindet man ohne Weiteres die neu gewonnene Ordnung mit der wiedergewonnenen Religiosität. Der islamorientierte Premier Erdogan war ja Bürgermeister von Istanbul und hat seine Sache dort gut gemacht, so gut, daß man ihn zum Premier wählte.

Beim Betrachten der unterschiedlichen Damenmoden kommt ein unschöner Gedanke auf: man traut den modern gekleideten, also oft etwas nuttenhaft herausgeputzten Mädchen in engen Jeans und bauchfreien T-Shirts eher zu, das Auto so zu parken, daß der Verkehr ins Stocken kommt oder mit einem Edding-Stift die Straßenbahn zu verunzieren oder sonstwie die alte Unordnung neu zu stiften, als ihren blassen Schwestern mit den Kopftüchern und den langen Kleidern. Der Gedanke erstickt aber sogleich wieder, wenn die ebenfalls im Stadtbild auftauchenden Komplettverschleierten zu sehen sind. Sie tragen schwarz, wie eine Nonne, scheinen auch wie diese eine religiöse Botschaft an uns alle zu haben und lassen vom Gesicht nur eine handtellergroße Raute erkennen, die unter der Nase endet. Es tut weh, sie durch die Hitze gehen zu sehen, sie wirken, als ob jemand einen Bann über sie verhängt hätte. Glücklicherweise sieht man sie selten, aber auch sie gehören zu dieser sich neu ordnenden Welt der sauberen Straßen und geordneten öffentlichen Angelegenheiten.

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