Dienstag, 24. Juli 2007

Nachglanz

 


 

Vor ein paar Jahren ist der Schriftsteller Peter Handke sehr in die Kritik geraten, weil er in einem Reisebericht seine Sympathie für Serbien offenbart hatte. Unter den Beschimpfungen seiner Kritiker war damals eine, die ihm nicht nur seine unkritische Haltung der Milosevic-Regierung gegenüber zum Vorwurf machte, sondern auch die Tatsache, daß er sich in Serbien einmal auf der Straße die Schuhe hatte putzen lassen. Das war als politisch unkorrekter Akt beanstandet worden. Erschwerend kam hinzu, daß er außerdem dann auch noch das angenehme Gefühl beschrieben hatte, wie er mit ansehen konnte, daß diese geputzten Schuhe noch tagelang nachglänzten, selbst unter dem Staub, der sich beim Wandern auf die Schuhe gelegt hatte.

Mir hat sich dieses Bild der unter dem Staub glänzenden Schuhe damals sehr eingeprägt. Es beschreibt ja einen allgemeinen menschlichen Sachverhalt, das Aufleuchten der Reste einer alten Ordnung, die von der neuen Unordnung verdrängt wird, aber doch nicht ganz ausgelöscht werden kann.

Heute morgen nun habe ich das Bild neu gesehen, als ich nämlich meine in Istanbul geputzten und mittlerweile mehrfach getragenen braunen Schuhe in den Schrank räumte. Der Glanz war noch da, wenn auch unter einer erkennbaren Schicht neuen Schmutzes.

Ich habe mich darüber gefreut, Handke hat mir den Blick dafür geschärft.

Samstag, 21. Juli 2007

Heimatglanz

 


Hier ein 30 Sekunden langes Video, am Samstag nach unserer Rückkehr in unserem Garten aufgenommen. Es soll zeigen, warum wir es auch zu Hause schön finden, und unserer Tochter Tina, die vorgestern für ein halbes Jahr nach Santiago de Chile abgeflogen ist, ein wenig Heimat hinüberbringen.

 


Sieben Thesen über das Schreiben eines Blogs

 



1.) Man schreibt keinen Blog, um weltweit von unzähligen Menschen gelesen zu werden. Man läßt es sich an den freundlichen Redaktion der Kinder und einiger Freunde genügen und zählt sein Publikum an den Fingern von zwei Händen. Man rechnet auch nicht mit dem Mann auf der anderen Seite der Erdkugel, der zufällig in den Blog gerät und nun von einer plötzlichen Erleuchtung ergriffen sagt: "Der hat es verstanden!" Nein, man schreibt für einen kleinen Kreis von nüchternen Lesern.

2.) Man schreibt einen Blog wie ein privates Tagebuch, das ja viele Leute ebenfalls so verfassen, daß es jemand lesen soll, später mal. "Ja, so war er!" soll man dann sagen können, und daß "er" lieb war, aber auch ein bißchen verschroben, "vogelig" sagen wir in unserer Familie dazu. Mir ist es beim Schreiben manchmal so gewesen, als hätte ich ein Testament gemacht.

3.) Mit dem Blog wächst Material zusammen, vergleichbar dem eines Malers, der einen Skizzenblock mit sich herumträgt. Alles Erlebte wird daraufhin überprüft, ob es für einen Bericht verwertet werden kann, Informationen werden deshalb sorgfältiger eingeholt als gewöhnlich. So fragt man etwa Menschen, mit denen man ins Gespräch kommt, nach ihren Namen (und schreibt sie sich heimlich in ein Notizbuch). Mit der Kamera geht man näher ran, riskiert mehr.

4.) Das bloße Sammeln ist es an sich schon wert, daß man einen Blog schreibt. Es steigert die Freude des Betrachters, auch darin sicher dem malenden Reisenden vergleichbar. Die Welt wird zur Fundgrube, deren Ertrag man mit anderen teilt.

5.) Daß dem Blogschreiber manche Leute eine gewisse Selbstverliebtheit vorwerfen, darf ihn nicht stören. Mittlerweile schreiben mehrere Millionen auf der ganzen Welt ihren Blog, die können nicht alle von einem grenzenlosen Narzißmus befallen sein, denn der kann nur in einer gewissen Einsamkeit und Isoliertheit gedeihen.

6.) Man sollte Blogs nur so schreiben, da- sie den Leser auch dann interessieren, wenn man sie ihm als kleines Buch in die Hand gibt. Ich habe bei meinen früheren Blogs (über das Jesus-Buch des Papstes und über meine Herzbehandlung nebst Fortsetzungen) am Ende immer auch eine Druckversion hergestellt - vordergründig, weil meine Frau ihre alten Mutter, die kein Internet hat, auch an meinen Erlebnissen teilnehmen lassen will, in Wirklichkeit aber auch, um mit dem gedruckten Heftchen, das sich auf meinem Kopierer im Büro recht schnell herstellen lässt, nochmal die Gesamtheit des Geschriebenen zu überblicken und das Ganze dann auch drei oder vier anderen Leuten in einer etwas nobleren äußeren Form zugänglich zu machen.

7.) Dies alles ist natürlich viel zu lang. Meine Kinder haben mir dezent gesagt, daß man das ja gar nicht alles lesen kann, was ich so schreibe. Ich verspreche, an einer kürzeren Form zu arbeiten!

Griechische Laute

 


Wenn wir morgens vor dem Frühstück einige Bibelworte gelesen haben, wurde immer das hebräische oder griechische Original mit herangezogen. Dabei machte es Maria meist wenig Probleme, das alte Griechisch der Bibel in ihr modernes Griechisch zu übersetzen.

Schwierig war es dagegen, wenn wir Deutschen versuchten, die uns bekannten Worte wie etwa "theos", "agape" oder "dikaiosyne" im Neugriechischen dem Klang nach zu verstehen. Das liegt daran, daß viele Buchstaben heute anders ausgesprochen werden als wir es etwa mit "alpha, beta, gamma, delta" in Mathematik aus dem Altgriechischen gelernt haben.

Aus dem beta β ist ein veta geworden, das gamma γ kann auch jamma heißen, das delta δ wird wie im Englischen gelispelt und klingt wie "thelta", wobei es im Unterschied zum stimmlosen Lispellaut theta θ (wie im englischen "theatre") allerdings stimmhaft gesprochen wird (wie im englichen "than"). Weil es ein echtes d nicht mehr gibt, muß Düsseldorf im Flugplan Ntyssel-ntorf geschrieben werden.

Am verwirrendsten ist die Vielzahl der Laute, die alle als i ausgesprochen werden. Es sind dies

- ι das Iota
- η das Eta / Ita
- υ das Ypsilon
- ει das Epsilon-Iota
- οι das Omikron-Iota

Nicht nur verwirrend ist diese I-erei, auch verniedlichend, denn vieles klingt für deutsche Ohren nach der Verkleinerungsform - wir kaufen Joghurti für Heleni in Atheni, sie macht daraus Tzatziki.

Die Heimat des Odysseus

 




Der schöne Sonnenuntergang über dem Golf von Patras läßt die fernen Inseln im Ionischen Meer klarer hervortreten als am Tag in der hellen Sonne. Wenn man die Leute hier fragt, welche Inseln man denn sieht, bekommt man eine Reihe von falschen Antworten. "Zakinthos!" sagte Pavlos, aber die liegt laut Landkarte viel weiter südlich. "Die Landspitze von Araxos!" sagt Dieter, aber daran zweifle ich ebenfalls, denn wieso erscheint eine Landspitze als Insel?

Ich behaupte: "Kafalonia!" aber auch das ist falsch und eher von meiner Nostalgie bestimmt, einmal den Handlungsort von "Corellis Mandoline" zu sehen, den Drehort des Filmes und am liebsten die in dem Film sehr bezaubernde Penelope Cruz daselbst.

Mehrere Google-Earth-Flüge zu Hause lassen mich die richtige Lösung finden: Ithaka, die sagenumwobene Heimat das Odysseus! Die beiden Teile der Insel sind nur durch einen schmalen Landarm untereinander verbunden und erscheinen mit ihren beiden etwa 500 - 600 m hohen Bergen von weitem wie zwei Inseln.

Aber auch Kefalonia ist von Kaminia aus zu sehen. Der 1628 m hohe Berg Enos auf dem Südteil der Insel erscheint dabei nicht über dem Meer, sondern über der Landspitze von Araxos als dunkle, große Masse. So hoch sind in der Küstenebene von Araxos, wo der auch der kleine Flughafen von Patras liegt, sonst keine Berge.

Übrigens hat "Corellis Mandoline" mit der dramatischen Liebe zwischen einer Griechin und einem italienischen Besatzungsoffizier im Zweiten Weltkrieg einen realen Hintergrund: der im Film geschilderte Konflikt zwischen Deutschen und Italienern führte tatsächlich im September 1943 auf Kefalonia zu einem Massaker an italienischen Soldaten, das in Wirklichkeit sehr viel mehr Tote forderte als im Film.

Der Film von 2001 ist von der Kritik nicht gut aufgenommen worden. Ich liebe ihn aber trotzdem, und zwar wegen der starken, ihrer Heimat verbundenen Penelope Cruz (im Film: Pelagia), deren Augen so schön blitzen können - erst vor Zorn und dann aus Liebe. Den Wechsel erreicht die Musik.

Freitag, 20. Juli 2007

Tavla

 


Mit Dieter habe ich viel Tavla gespielt. Backgammon heißt es im Englischen und auch bei uns, Tavli in Griechenland. Das Spiel ist auf eine sehr schön ausgeglichene Weise von Würfelglück und strategischem Geschick bestimmt. Der Anfänger kann mit Glück ein Spiel gegen einen Fortgeschrittenen gewinnen, das geht etwa wie beim Skat, aber eine Serie von Spielen gewinnt in der Summe doch in aller Regel der Könner.

15 Steine stehen in vier Kolonnen auf 24 Feldern, welche die beiden Spieler in Gegenrichtung gegeneinander durchlaufen müssen. Wer sein „Heimatfeld“ im letzten Viertel erreicht hat, darf seine Steine herausspielen. Einzeln stehende Steine dürfen geschlagen werden und müssen wieder von vorn anfangen, doppelte nicht, sie bilden eine sichere „porta“ (in Griechenland) oder „kapı“ (in der Türkei). Man würfelt mit zwei Würfeln, was dazu führt, daß bei jedem Wurf etwa sechs bis acht unterschiedliche Züge möglich sind, von denen meist nur einer oder zwei Sinn machen.


Dieter gewinnt meistens unsere Serien „bis fünf“. Er spielt ein auf Sicherheit achtendes, solides System, das er geradewegs aus der Bundesbank übernommen haben könnte, für die er im Zivilberuf arbeitet. Ich dagegen spiele eher jugendlich-riskant und hole mir oft eine blutige Nase. Heimlich bin ich aber stolz auf meine Spielweise und genieße Siege und Niederlagen in gleicher Weise. In meiner Erinnerung spielten die Türken, die mir das Spiel damals beigebracht haben, eher so wie ich. Da gehe ich dann also lieber wie Dschingis Khan zur Attacke reitend unter als daß ich mit mündelsicherer Frankfurter Anlagestrategie Punkte mache.

Mittwoch, 18. Juli 2007

Bitte um etwas Geduld

 

Am Dienstag, 17. Juli, sind wir wieder gut in Deutschland gelandet. Ich habe jetzt vor, noch weitere Posts mit Geschichten aus Griechenland zu schreiben, sowie die vorhandenen Posts um einige schöne Fotos zu ergänzen.

Auch ein kurzes Musikvideo (im Post "In Taverna") soll dazu kommen, ich zeige es schon mal hier und rufe dazu den berühmten Vers der griechischen Schlagersängerin Vicky Leandros in Erinnerung. Die zweite und dritte Zeile greifen mit ihrer feinen Reimkunst ans Herz:

Die Bouzouki klang durch die Sommernacht
Du nahmst meine Hand
Ich hab' dich nicht gekannt

Großvater Georgos und Georgos, sein Enkel

 




Georgos der Großvater (als Soldat)

 









Die kleine freikirchliche Gemeinde am Ort ist durch die Nachkommen von Marias Vater Georgos geprägt. Dieser "Jorgos", wie man Neugriechisch sagt, wurde um 1910 geboren und lebte bis in die 80er Jahre. Er wurde beim Überqueren der damals neuen Nationalstraße am Rande des Dorfes von einem Auto erfaßt und getötet. Er wurde 76 Jahre alt. Sein Enkel, der zweite Georgos, denn von den Söhnen heißt niemand so, starb nur wenige hundert Meter von der Unfallstelle des Großvaters entfernt auf derselben Schnellstraße. Sein Auto schleuderte mit hoher Geschwindigkeit in eine Betonwand, und Georgos war auf der Stelle tot. Das war im vergangenen Jahr, und der junge Mann war nur 21 Jahre alt.



Georgos der Enkel

 








Sein Tod wirft einen dunklen Schatten über das Leben der Familie und auch über das Leben der Gemeinde. Für die Gemeinde war in seiner Person die Hoffnung begründet gewesen, daß er wie Großvater Georgos und wie Vater Pavlos, der die Gemeinde leitet, sonntags predigt und auch die Orgel spielt, eine Stütze und Säule der Gemeinde werden könnte. Er war auf dem Weg dazu, jeder mochte den hübschen und liebenswürdigen, etwas stillen jungen Mann.

Wenn man mehr über die Umstände seines Todes erfragt, wird deutlich, daß er menschlich gesprochen zu verhindern gewesen wäre, wenn man dem jungen Georgos gelegentlich einmal gepredigt hätte, daß zum Frieden mit Gott auch ein friedliches Verhalten im Straßenverkehr gehört. Er war als ein hitziger Autofahrer bekannt, und nach seinem Tod erinnerte man sich an Fahrten mit ihm, bei dem manchem Beifahrer der Angstschweiß ausgebrochen war.

Ich war ebenfalls ein hitziger Autofahrer und bin es teilweise heute noch. Auch mir hat niemand gepredigt, daß man über die Bibel und den Glauben vielleicht zu einer anderen Fahrweise gelangen könnte. Ich frage mich, ob man nicht aus dem Tod des frommen jungen Mannes Konsequenzen ziehen und anders predigen sollte.

Diese Frage erscheint auch noch von einer anderen Seite her notwendig und sinnvoll zu sein. Die kleine Gemeinde, in der Vater Pavlos mit Treue, Leidenschaft und einer umfassenden Bibelkenntnis predigt, kämpft um ihre Existenz, kämpft gegen das Aussterben und um die finanziellen Grundlagen, ein neues kleines Gebäude für einen Andachtsraum zu finden.

Ich bin seinen insgesamt drei Predigten, die mir in zwei Gottesdiensten von dem neben mir sitzenden freundlichen Deutschgriechen Nikolaus übersetzt wurden, und von denen alle randvoll mit guten Bibelworten und immer mindestens eine Viertelstunde lang waren, mit großer Sympathie gefolgt und habe die brennende Liebe des Predigers für seine Bibel aus nächster Nähe miterleben können.

Nun würde ich trotzdem nicht so predigen wie er, könnte es auch gar nicht, weil ich nicht in der Lage wäre, die unmittelbare Wirkung des Bibeltextes so kraftvoll aufrecht zu erhalten, wie Pavlos es tut. Er liest im Grunde genommen die Bibel vor und wiederholt und unterstreicht das gelesene nur kurz mit seinen eigenen Worten. Das wirkt auf die Zuhörer stark und vollmächtig.

Es läßt aber anderseits konkrete Bezüge zu den kleinen Dingen des Alltags fast völlig aus. Alles wird zu einem großen Drama, in dem es um die Herrschaft Gottes in der Welt, die Anfechtung seiner im Glauben brennenden Gemeinde, die Freude auf seine Wiederkunft geht. Von den alltäglichen Dingen, dem Frieden mit seinem Nächsten, der schwierigen Suche nach Ordnung und Sinn im eigenen Leben ist nicht die Rede - und entsprechend natürlich auch nicht vom Verhalten im Straßenverkehr.

Ich stelle mir vor, daß die rußlanddeutschen Gemeinden ähnliche Predigten hören. In den Gesichtern der beiden jüngeren Söhne meine ich, eine unbeteiligt wirkende Ruhe gesehen zu haben, mit der sie die hundertfach gehörten Worte eher über sich ergehen ließen als sie wirklich mit Überzeugung aufzunehmen. Von den älteren Schwestern hörte ich, daß sie alle mit guten und frommen Männern verheiratet sind - aber im 200 km entfernten Athen, wo die Prediger der dortigen Gemeinden eine etwas stärker weltzugewandte und jugendgemäße Sprache gefunden haben, und wo vielleicht auch das Regiment des starken Vaters nicht mehr zu sehr wirkt.




Pavlos und Sophorinia ("Niza")



 




Es ist schön, Pavlos Gastfreundschaft zu genießen und von seinem Haus, das wie ein einzelnes Gehöft hoch über dem Ort in ausgedehnten, von Pavlos bewirtschafteten Olivenhainen liegt, den Sonnenuntergang über dem Golf zu sehen. Statt des Ouzos, der beim Rest der Familie zum Alltag gehört, stehen bei ihm frische Früchte auf dem Tisch, Kirschen, Nektarinen und kleine süße Birnen.

Es ist eine große, lebendige Familie, sie wird sich gegenseitig helfen, den Tod des Sohnes und Bruders zu überstehen. Aber er fehlt und ist in seinem Fehlen immer wieder gegenwärtig. Man zeigt uns die Hochzeitsbilder der drei hübschen Schwestern. Georgos ist natürlich auf vielen Fotos ebenfalls zu sehen.

Seine Mutter Niza zeigt mir zum Schluß auch Bilder, auf denen er allein zu sehen ist. "Jorgos!" sagt sie mit Tränen in den Augen und zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. "Uranos!" im Himmel, da ist er jetzt. Ja, Uranos, wiederhole ich. Uranos.

Lebenskampf in der Leichtigkeit des Seins

 


Die Dusche zwischen den beiden Oleanderbüschen, die Dieter ans Ende der Doppelreihe von Oliven- und Zitronenbäumen gebaut hat, ist ein schönes Symbol für ein Leben, in dem es keine Kälte mehr gibt, sondern nur noch endlose Wärme, und Blumen überall. Im Sommer Griechenlands scheint uns die Natur von morgens bis abends streicheln zu wollen, mit einem warmen Wind vom Meer am Tag und mit seidenweicher Luft am Abend und in der Nacht.

Leider verliert die Natur auch hier ihre grausamen Seiten nicht. Das zeigt sich nachts während des Schlafes, wenn der Kampf der Arten untereinander beginnt. Hier am Ort ist es der Kampf Mücken gegen Menschen, und von der Anzahl der kraterförmigen Einschläge auf meinem Körper her ist es klar, wer diesen Kampf Nacht für Nacht für sich entscheidet.

Die Mücken greifen an wie die Sturzkampfbomber der deutschen Wehrmacht. Wenn man ihr Summen, das in der Nähe des Ohres zu einem bedrohlichen Geräusch anschwillt, zum ersten Mal hört, ist es bereits zu spät. Auf ihrem Weg zum Ohr haben sie meistens schon die Fußgelenke, Unterarme und sensible Bereiche der Hände und Finger systematisch bekämpft. Wenn man durch das Summen am Ohr erwacht ist, vertreibt man den Angreifer mit einem für den eigenen Kopf schmerzhaften Schlag, um dann feststellen zu müssen, daß aufgrund des Juckens, das sich von den bereits zerstochenen Stellen unangenehm meldet, an weiteren Schlaf nicht mehr zu denken ist. Reizunterdrückung ist jetzt an der Reihe.

Ich habe anfangs mit Fenistil, einem Produkt der Novartis Consumer Health GmbH in 81366 München die gereizten Partien zu bestreichen versucht, um mittels dieser Salbe eine etwas stumpfe Hautoberfläche zu erzeugen, die sich wie von selbst gegen den Impuls wehrt, sich fortwährend kratzen zu müssen. Später habe ich dann außerdem noch den Autoschlüssel vom Nachttisch genommen und versucht, mit seiner Hilfe noch einige neue Hautrillen zu erzeugen, in denen das Fenistil dann eine gewisse Tiefenwirkung erzeugen könnte. Später habe ich nur noch den Autoschlüssel benutzt und dann noch, wenn an Schlafen nicht mehr zu denken war, eine für nach der Rasur gedachte Gesichtscreme („beruhigt, repariert, stärkt“) großflächig auf alle juckenden Bereiche aufgetragen. Diese half oft recht gut, denn was einer vom Rasieren gereizten Gesichtshaut hilft, wirkt natürlich auch auf von Mücken angegriffene Fußgelenke.

Das Gemeine an den Angriffen der Mücken ist, daß sie den leichten Schweiß der Menschen ausnutzen um ihre Zielgebiete auch in der Dunkelheit leicht zu finden, und daß der Schweiß wiederum dadurch entsteht, daß man sich aus Angst vor den Mücken nicht traut, ein entblößtes Bein oder einen Arm aus dem Bett hängen zu lassen.

Mein Traum von meinem zukünftigen Leben in Deutschland, den ich immer heftiger und sehnsüchtiger träume, ist der Traum von einem Land, in dem man ungestraft das Bein aus dem Bett hängen lassen darf.

Montag, 16. Juli 2007

An die Achajer

 

Die kleine evangelische Freikirche, die Marias Vater vor vielen Jahren am Ort gegründet hat, trifft sich seit etwa einem Jahr wieder – wie ganz zu Beginn – in einem Zimmer des Hauses der Familie Ntemiris. Die vor etwa 40 Jahren errichtete Kapelle existiert nicht mehr. Das Eigentum daran lag bei einem Mitglied der Gemeinde, und man hatte es versäumt, testamentarische Regelungen zu treffen, um der Gemeinde ihre Rechte auf Dauer zu sichern. So wurde das Grundstück nach einem Erbfall an einen Fremden verkauft, der das Gebäude abreißen ließ. Nun hat Marias Bruder Andreas seine Wohnung aufgegeben und sie der Gemeinde bis auf Weiteres zur Verfügung gestellt. Diese Wohnung wiederum liegt im Haus von Bruder Josef, das hinten auf dem elterlichen Grundstück als Ferienhaus errichtet wurde.

Am gestrigen Sonntag trafen sich etwa 15 Leute hier, und irgendwie hatte man es organisiert, daß ein Übersetzer da war und ich als Bruder aus Germania predigte. Vermutlich war aber die Freude an meinem Orgelspiel auf der kleinen Elektronikorgel größer als die Freude an der Predigt. Maria hatte mich sogleich auch als Organisten eingeteilt, und es stellte sich heraus, daß ich die meisten Lieder kannte und ohne Noten mitspielen konnte. Abends in einem zweiten Gottesdienst haben wir dann fast nur noch gesungen, vom Old Rugged Cross bis When The Saints, alles in Griechisch.



Andreas (Marias Bruder), Alexis (Doktorand aus Patras), Nikolaus (Übersetzer, in der Ausbildung als Steuerberater), Irene (Marias Schwester), ich, Pavlos (Marias Bruder) und Niza, seine Frau


Hier ist, was ich der Gemeinde gesagt habe. Es ist ein wenig staccato geschrieben, damit der Übersetzer, der 21jährige Deutsch-Grieche Nikolaus, in Mannheim geboren, sich leicht einfinden konnte:



Die Bibel hat viele gute Ratschläge, wie man sich in einer konkreten Situation verhalten soll. Auch für meine eigene Situation heute gibt es einen solchen Ratschlag, ein Vorbild. Es kommt von dem Apostel Paulus. Er will eine fremde Gemeinde zum ersten Mal treffen, und er stellt sich deshalb in einem Brief an die Gemeinde erst einmal vor. Er sagt dabei: wenn ich euch besuche, dann möchte ich, daß etwas geschieht, was uns beide erfreut.

Römer 1,11+ 12

11 Denn mich verlangt sehr, euch zu sehen, damit ich euch etwas geistliche Gnadengabe mitteile, um euch zu stärken,
12 das heißt aber, um bei euch mitgetröstet zu werden, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen.

Paulus benutzt hier im alten Griechisch das Wort „charisma“. Auch eure neugriechische Bibel hat an dieser Stelle dieses Wort. „pneumatika charisma“, das verstehen wir Deutsche auch, denn „pneumatisch“ ist auch bei uns etwas, was mit Geist, mit Luft arbeitet. „charisma“ sagen wir auch.

Welche Fähigkeit steckt in diesem besonderen Charisma, von dem Paulus spricht? Es ist die Gabe, daß wir uns gegenseitig trösten und stärken können, ich durch euren Glauben, ihr durch meinen.

Das ist ein erstaunliches Charisma, weil es eigentlich nach nichts Besonderem aussieht. Wir denken bei Charisma an größere Dinge, an Krankenheilung, an Prophetie, an besondere Gaben zur Führung von Menschen. Aber den anderen im Glauben stärken? Das ist doch eher etwas Alltägliches, oder nicht?

Erstaunlich ist auch, daß Paulus diese eher schlichten Worte am Anfang eines der wichtigsten Bücher der Bibel schreibt. Man weiß, daß viele Erneuerungen in der Christenheit mit dem Römerbrief begonnen haben. Martin Luther hat durch ihn entscheidende Gedanken bekommen, ebenso John Wesley, der Gründer der Methodisten. Paulus könnte also schreiben „Achtung! Ich schreibe Euch jetzt den Römerbrief! Paßt gut auf!“ Aber er sagt erst einmal ganz einfach: Ich komme, um mich an Eurem Glauben zu freuen, und ich hoffe, ihr freut euch an meinem.

Ich will heute dasselbe sagen: ich freue mich an eurem Glauben, freut euch an meinem! Von eurem Glauben weiß ich seit vielen Jahren. Maria hat mir immer wieder von eurer Gemeinde erzählt, hat mir erzählt, wie Marias Vater Georgos Ntemiris vor vielen Jahren angefangen hat, in der Bibel zu lesen, Fragen zu stellen, wie er Jesus gefunden hat und wie er vielen anderen Menschen zum Glauben geholfen hat. Mittlerweile sind seine Enkelkinder erwachsene Leute und viele von ihnen haben seinen Glauben weitergeführt. Ich weiß, daß es pistis / Glaube, elpis / Hoffnung und agape / Liebe bei euch gibt, und ich freue mich daran.

Und ich sage, daß pistis, elpis und agape auch in meinem Herzen leben und im Herzen der Geschwister aus meiner Gemeinde in Remscheid bei Köln. Wir sind etwa 300 Leute in einer Stadt mit 120.000 Einwohnern, das ist nicht viel, aber wir teilen Freude und Leid und sind gemeinsam unterwegs auf dem Weg zu unserem ewigen Vaterhaus. In den letzten Monaten hat uns bekümmert, daß fünf Frauen an Brustkrebs erkrankt sind, darunter zwei Frauen, die kleine Kinder haben. Das macht uns Sorgen, aber wir erleben auch die Kraft Gottes in der Art und Weise, wie uns diese Frauen ein Vorbild in ihrer Hoffnung werden. Und wir erleben die Liebe Gottes auf vielfältige Weise in unserem Leben.

Ich darf euch herzliche Grüße sagen von den Geschwistern in Remscheid, der Pastor weiß, daß ich heute hier predige, und ich werde Grüße von euch mitnehmen, wenn ich darf.

Ich habe gesagt, daß wir Deutsche viele Worte aus der griechischen Bibel verstehen, weil sie auch im Deutschen gebraucht werden – pneuma und charisma etwa. Was ich bei der Vorbereitung neu gelernt habe, in der ich mit Maria und Nikolaus auch die griechische Bibel aufgeschlagen habe, ist die Ähnlichkeit von charisma und charis. Im Deutschen sind es zwei unterschiedliche Worte Gnade / charis und Gabe / charisma, was bei uns nur heißt, daß es jemand gegeben hat. Bei euch ist klarer, daß es durch eine Gnade gegeben ist.

In der ganzen Welt haben die Christen Mühe damit, zu klären, welches Charisma nützlich und notwendig ist, um eine Gemeinde zu bauen. Manche Gemeinden spalten sich darüber. Vielleicht ist es gut, sich daran zu erinnern, daß der so wichtige Römerbrief dieses spezielle charisma, das charisma der Stärkung des Glaubens, an die erste Stelle setzt. Ja, eigentlich kennt der Brief sogar, abgesehen von ein paar kurzen Erwähnungen am Ende, fast nur dieses eine charisma. Laßt es uns ernst und wichtig nehmen und daran arbeiten, daß es unter uns reichlich vorhanden ist. Das ist mein erster Wunsch für euch.


Warum brauchen wir es überhaupt? Nun, die Briefe des Neuen Testamentes reden alle konkret von der Sorge, daß der Glaube kleiner wird, daß Menschen das vergessen, was sie in der ersten Liebe zu Jesus an Glaube, Liebe und Hoffnung gehabt haben und daß die Sorgen der Welt wie Unkraut wachsen zwischen den guten Pflanzen, die Gott in unser Herz gesät hat, und sie am Ende sogar überdecken. Der Glaube ist zunächst einmal etwas von gestern, etwas, was wir in unserer Vergangenheit sehr schön erlebt haben, von dem wir aber morgen nicht wissen, ob es in gleicher Weise hält wie gestern.

Welchen Glauben haben wir morgen? Werden wir Glauben halten, wenn der Doktor mit sorgenvollem Gesicht sagt, „ich habe eine unangenehme Nachricht für Sie“? Werden wir Glauben haben, wenn der Chef sagt, „die Abteilung, in der Sie arbeiten, wird aufgelöst“? Werden wir Glauben haben, wenn wir am Grab eines lieben Menschen stehen und nicht wissen, wie unser Leben jetzt alleine ohne ihn oder sie weitergehen soll?

Die ersten Hirten der jungen Gemeinden haben sich um den Glauben ihrer Menschen gesorgt, so wie der Herr Jesus sich um den Glauben seiner Jünger gesorgt hat.

Lukas 22

31 Simon, Simon! Siehe, der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen.
32 Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du einst zurückgekehrt bist, so stärke deine Brüder!

Von Paulus hören wir, daß es ein einfaches Mittel gibt, den Glauben zu stärken: das Gespräch zwischen dem einen Christen und dem anderen. Ich möchte an dieser Stelle euch Griechen das Kompliment machen, daß bei Euch das Gespräch, der „Dialogos / Dialog“ wie wir auch in Deutsch sagen, sozusagen erfunden worden ist. Oder sagen wir, Sokrates hat als erster das Prinzip des Dialoges so formuliert: es gibt bestimmte Dinge, die Menschen nur unter der Voraussetzung erkennen, daß sie miteinander reden.

Von Sokrates gibt es das Bild der beiden Menschen in der Höhle. Sie sitzen mit dem Rücken zur Öffnung und sehen auf der Innenwand der Höhle die Schatten der Dinge, die sich hinter ihrem Rücken abspielen.

Sie müssen sich herumdrehen und ins Licht sehen, wenn sie die Wahrheit erkennen wollen, das ist klar. Aber wer sagt es ihnen? Sokrates sagt: sie haben nur eine Möglichkeit dazu: den „Dialog“. Sie müssen miteinander reden, nur über das miteinander Reden beginnt der Weg zur Wahrheit.

Manches, was Sokrates gedacht und gesagt hat, ist mit der griechischen Sprache, die ja die Sprache des Neuen Testamentes ist, obwohl sie nicht die Sprache Jesu war, auch in das Denken der Christen eingezogen. Paulus hat Sokrates, der 399 vor Christus gestorben ist, vermutlich gekannt und hat das von ihm übernommen, was richtig war. Und dazu gehört das Prinzip des Dialoges.

Wenn ich euch also noch eine zweiten Sache wünsche, dann den nicht endenden „Dialogos“ untereinander. Vermutlich ist es gar nicht nötig, euch das zu wünschen. Meine Frau sagte, hier im Ort würden sehr viele Dinge beredet, wenn die Menschen im Meer baden. Überall stehen beim Baden kleine Gruppen herum und reden, und wenn man aus dem Wasser kommt, braucht man keine Zeitung mehr zu lesen, man weiß schon alles.

Trotzdem ist es vielleicht eine gute Sache, wenn ihr Euch noch einmal neu ermutigen läßt, auch über Euren Glauben zu reden. Manchmal merkt man es ja erst viel zu spät, wenn im Herzen eines anderen der Glaube kleiner wird erlischt. Das soll nicht sein, redet also über den Glauben miteinander.


Und dann zum Schluß noch einmal: freut euch am Glauben der anderen. Von Maria weiß ich, daß Vater Georgos den Kindern den Sonnenuntergang über dem Golf von Patras zeigte und ihnen sagte, daß die Sonne nicht weggeht, sondern jetzt den Brüdern und Schwerstern hinterm Horizont leuchtet, die weiter weg wohnen, den Deutschen, den Engländern, vielen anderen. Er hat von diesen Geschwistern gewußt, hat sich daran gefreut, daß es sie gab. Freut ihr euch auch!

Ich habe später gelernt, daß es ein englisches Lied gibt, daß genau diesen Gedanken von Vater Georgos erzählt. Es ist ein Abendlied und heißt „Der Tag, den du Gott gegeben hast, geht zu Ende“. Und in der vorletzten Strophe heißt es dann

The sun that bids us rest is waking
Our brethren 'neath the western sky,
And hour by hour fresh lips are making
Thy wondrous doings heard on high.

Die Sonne, die uns sagt, daß wir schlafen sollen,
weckt die Geschwister unter dem westlichen Himmel
und jede Stunde neu machen frische Lippen,
daß deine wunderbaren Taten in der Höhe gehört werden.

Laßt uns mit dem Versprechen auseinandergehen, daß wir in Deutschland, wo die Zeit eine Stunde hinter eurer Zeit herläuft, eine Stunde länger an Gottes Güte denken und Gott loben, und dann sollen es die Engländer tun, und dann die Brasilianer, die Chilenen, die Leute in Alaska, in Japan, Singapur, Vietnam, Indien – bis endlich die Griechen wieder an der Reihe sind, eine Stunde vor uns. Sie alle bilden eine Kette des Lobes, eine Kette des Glaubens. Ich bin froh, daß ich heute ein neues Stück dieser Kette sehen durfte und danke euch dafür.



The day Thou gavest, Lord, is ended,
The darkness falls at Thy behest;
To Thee our morning hymns ascended,
Thy praise shall sanctify our rest.

We thank Thee that Thy church, unsleeping,
While earth rolls onward into light,
Through all the world her watch is keeping,
And rests not now by day or night.

As over each continent and island
The dawn leads on another day,
The voice of prayer is never silent,
Nor dies the strain of praise away.

The sun that bids us rest is waking
Our brethren 'neath the western sky,
And hour by hour fresh lips are making
Thy wondrous doings heard on high.

So be it, Lord; Thy throne shall never
Like earth's proud empires, pass away:
Thy kingdom stands, and grows forever,
Till all Thy creatures own Thy sway.

Samstag, 14. Juli 2007

Im Paradies, mit Hintergrundgeräuschen

 


Urlaubsfotos zeigen uns Landschaften (hier einen Blick vom Kloster Agia Lavra), Leute und uns selbst meist in einem Licht, das ein schier unbegrenztes Glück wiederzugeben scheint. Mag sein, daß die Erinnerung an solche paradiesischen Lebensphasen sogar richtig ist, aber es gibt doch trotzdem einen Unterschied zwischen der erinnerten Zeit und der realen, gegenwärtigen Zeit.



Ich bemerke das immer in Holland an einer bestimmten, mit großen Bäumen bestandenen Stelle am Veerschen Meer. Ich habe dort vor Jahren einmal an einem frühen Morgen ein so schönes Bild fotografiert, daß Judith es sich als Hintergrundbild auf ihren Computer geladen hat. Man sieht das Bild und denkt an Zeiten vergangenen Glücks.

Kommt man dann wieder an dieselbe Stelle, findet man ihre Schönheit zwar unverändert vor, kann sich aber nur in weit geringerem Maß an ihr erfreuen wie an der Schönheit der eigentlich vollkommen gleichen Photographie. Es stören nämlich in der konkreten Gegenwart sowohl die Sorgen des aktuellen Tages, die man im Kopf hat, als auch die inneren Reizungen, die von jedem älteren Körper ausgehen. Im schönen Erinnerungsbild dagegen fehlt das Hintergrundgeräusch, das etwa vom Kopfweh ausgeht, von der gestörten Verdauung, einer Reizung der etwas zu stark der Sonne ausgesetzten Haut. Im Foto ist das alles vollkommen ausgeblendet, im realen Bild nicht.

So ist es nun leider auch mit unseren schönen Bildern aus diesem Urlaub. Sie zeigen nicht, daß Christiane fast während der ganzen Zeit nur humpelnd vorangekommen ist, weil eine bisher nicht eindeutig diagnostizierte Hautkrankheit die Hornhaut ihrer Füße an immer neuen Stellen aufreißen läßt. Das Salzwasser soll helfen, bewirkt aber möglicherweise das Gegenteil. Die Hilflosigkeit verdoppelt die Schmerzen.

Ebenfalls nicht auf den Fotos zu sehen ist, daß die mächtige Hitze mein durch zwei Stents normalerweise gut am Tuckern gehaltenes Herz doch offenbar gelegentlich an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit bringt. Vorgestern Nacht wachte ich schweißgebadet auf und spürte den „Druck auf der Brust“, den jeder Herzpatient kennt und fürchtet. War der Schweiß bereits derjenige, der schlimmeres ankündigt? Nein, Christiane hatte das Fenster geschlossen und die Klimaanlage ausgestellt. Als beides geändert wurde, ging es auch dem Herzen besser.

Aber es bleiben die Füße und das Herz, die uns daran erinnern, daß es trotz paradiesischer Umstände das wahre Paradies auf dieser Erde nicht gibt.

Freitag, 13. Juli 2007

Germanos

 

Wenn man von Patras etwa 30 km weit südlich ins Bergland der Peloponnes fährt, kommt man in das auf einer Höhe von fast 1000 m gelegene schöne Kloster Agia Lavra. Dort wurde am 25. März 1821 eine Sitzung der Stammesführer der Peloponnes abgehalten, in deren Verlauf der Bischof von Patras ganz Griechenland zum Kampf gegen die Türken aufrief und die griechische Fahne segnete. Der bewaffnete Aufruhr war zwar bereits einige Zeit im Gange, aber der Tag von Agia Lavra gilt trotzdem als die Geburtsstunde des modernen griechischen Staates. Der 25. März wird deshalb heute als Nationalfeiertag begangen.


Ich stehe mit gemischten Gefühlen vor der eisernen Statue des Bischofs, der Germanos hieß und von 1771 bis 1826 lebte. Er hat den langen Bart und runden Hut der orthodoxen Popen, deren äußere Würde und deren Autorität ja von anderen christlichen Geistlichen gleich welcher Art kaum je erreicht werden. Auf der Fahne, die er hochhält, steht „Eleftheria E Thanatos“, Freiheit oder Tod. Das hört sich gewaltig an, ist aber eine Alternative, wie ich sie mir von einem kirchlichen Hirten ungern vorlegen lassen würde.

Es war im Ergebnis eine eher wacklige Sache, die Germanos damals betrieb, denn der Tod der einen brachte den anderen nicht unbedingt die Freiheit, die man ihnen verheißungsvoll vor die Augen gehalten hatte. Ein gefährdetes Staatsgebilde mit großem Flüchtlingselend im Inneren und mit einer schwierig aufrecht zu haltenden äußeren Stabilität, die sehr vom Spiel der ausländischen Kräfte abhing - für so etwas wird man nachträglich gesehen nicht gerne zum Sterben geschickt, und vielleicht am wenigsten noch von einem Bischof wie Germanos einer war.

Wenige Kilometer unterhalb von Agia Lavra ist eine weitere Gedenkstätte, deren Geschichte eine Frauenstimme erzählt, die aus einem Lautsprecher über den Platz hallt. Auch hier ist das Wort „Germanos“ häufig zu hören, aber es bezeichnet diesmal die Deutschen, die oberhalb der Stadt Kalavitra im Dezember 1943 mehr als 600 griechische Männer vor einen Berghang trieben und erschossen. Partisanen hatten zuvor etwa 60 deutsche Soldaten bei einem Angriff getötet, und die Deutschen machten hier wie anderswo ihre Ankündigung wahr, man werde solche Angriffe im Verhältnis eins zu zehn vergelten. Grausam ist das Schicksal der Männer, die hier starben, unter ihnen Jungen von nur 12 Jahren, deren Namen auf großen ernsten Betonwänden verzeichnet sind.

Auch mit ihrem Tod verbindet man die Frage, ob er nicht von einem besseren Menschenhirten zu verhindern gewesen wäre. Die Deutschen waren Ende 1943 längst über den Höhepunkt ihrer Macht und auf dem Weg aus Griechenland heraus, nicht unähnlich den Türken von 1821. Welchen Vorteil brachte es, sie mit Partisanenaktionen zu reizen?

Freiheit oder Tod, man wünscht sich, niemals diese Frage gestellt zu bekommen. Helmuth Schmidt hat auf dem Höhepunkt der Abrüstungsdebatte in den 70er Jahren auf die Frage einer Frau, was er denn täte, wenn er vor die Alternative „Rot oder tot?“ gestellt würde, gesagt: „Gnädige Frau, ich habe mein Leben lang dafür gearbeitet, nicht vor diese Alternative gestellt zu werden.“ Das ist ein gutes Wort. Und es ist ein Glück, in Zeiten zu leben, wo es den Politikern möglich ist, danach handeln zu können.

Donnerstag, 12. Juli 2007

Marias Familie

 


Vater Georgos, gemalt von Sohn Josef











Mutter Evgenia (mit 96 Jahren im vergangenen Jahr in Kaminia gestorben)










Bruder Josef, lebt in Athen, als Maler










Josefs Frau Helene










Ein Bild von Josef (im örtlichen Hotel Poseidon)










Maria, lebt in Neu Isenburg bei Frankfurt










Marias Mann Dieter











Pavlos und seine Frau Niza, leben in Kaminia







(ohne Bild)
Petros, lebt in Deutschland








Andreas, lebt unverheiratet im alten Haus der Familie in Kaminia










Irene, lebt unverheiratet im alten Haus der Familie in Kaminia

Marias Familie (Video)

 

Mittwoch, 11. Juli 2007

Türken und die Europäischen Gemeinschaft

 

Ich bin 1971 mit dem Eindruck aus der Türkei zurückgekehrt, daß dort Leute mit einem großen europäischen Bewußtsein leben, die mit ihrem Herzen fester an Europa angebunden sind als viele satte Mitteleuropäer. Bülent Güray war ein Beispiel. Gleiches galt übrigens für die Leute, die ich bei Thomas Freund in Budapest kennenlernte, wo ich auf der Hin- und Rückfahrt Station machte. Nun hat es Thomas, von 1971 aus gesehen, überraschenderweise noch vor Bülent geschafft, formell als Europäer anerkannt zu werden, aber ich habe es damals beiden gewünscht und ich wünsche es Bülent noch heute und trete auch dafür ein, daß sein Land in die EU aufgenommen wird.

Ich halte eine Islamisierung Europas durch den Anschluß der Türkei und durch die dann möglicherweise noch stärkere Zuwanderung der Türken nicht für wahrscheinlich. Genausowenig hat die massenhafte Einwanderung von katholischen Iren nach England oder von katholischen Polen nach Deutschland seinerzeit die Länder katholischer gemacht – eher im Gegenteil: der alte Glaube schliff sich ab, was man teilweise bedauern muß, das Verständnis der unterschiedlichen Konfessionen füreinander nahm dafür aber sogar eher zu.

Die Fundamentalisten unter den Türken werden in Berlin, Brüssel und Kopenhagen ihren Fundamentalismus leben und auf gleiche Weise in der Masse untergehen wie etwa die fundamentalistischen Christen mexikanischer Herkunft, die in Texas zwar große, lebendige Gemeinden gründen, auf das politische Geschehen im Lande aber genauso viel oder wenig Einfluß haben, wie die Nachfahren holländischer Freidenker oder italienischer Katholiken. Der große internationale Bazar der westlich geprägten Gesellschaften läßt die Fundamentalisten zwar zu, läßt sie aber andererseits auch wieder links liegen und fördert insgesamt eher den modernen Unglauben.

Den Türken wünsche ich allerdings, daß bei ihnen das Interesse an dem wächst, was 2000 Jahre Christentum in den Köpfen und Herzen der Europäer herangebildet hat – gerade weil sie uns in einer Phase kennenlernen, wo sich dies alles aufzulösen beginnt. Sie sollen ein bißchen mehr Achtung vor der christlich geprägten Geschichte unserer Institutionen haben und das häßliche Wort vom „Christenclub“ aus ihrem Wortschatz nehmen. Ich werde Bülent und Erkan von zu Hause aus das Jesus-Buch des Papstes in Englisch schicken, ich habe es ihnen bereits angekündigt, sie waren daran interessiert.

Ernst nehme ich die Bedenken von Peter Oberschelp, der in der europäischen Kultusbürokratie arbeitet und das Ganze bereits heute für zu groß und deshalb für unregierbar hält. Da könnte ein reiches Volk von blonden und blauäugigen Christenmenschen um Aufnahme bitten, er würde sie vermutlich ebenso ablehnen wie die Türken, aus Platzmangel.

Heute morgen kam mir der Gedanke, wie dieses Problem auf einfache Weise gelöst werden könnte. Man sollte diejenigen Mitglieder wieder gehen lassen, die ohnehin nur lustlos mitmachen – die Engländer zuerst, vielleicht auch die Polen, vielleicht ein oder zwei Skandinavier – und dann die Türken aufnehmen.

Türken und Griechen

 








Gestern sind wir bei Maria und Dieter in Kaminia angekommen, Marias Heimatdorf. Der Ort liegt in Achaja, dem nordöstlichen Teil der Peloponnes. Achaja kommt häufig im Neuen Testament vor, damals wohl als Bezeichnung für das gesamte Gebiet um Korinth herum. Heute ist es eine Art Landkreis, ein „Nomos“ der Peloponnes. Von diesen Verwaltungsbezirken gibt es sieben. Die meisten haben klangvolle Namen wie Arkadien, Argolis und Elis. In unserem Achaja ist Patras die größte Stadt. Sie liegt am Übergang von der Adria, besser gesagt dem Ionischen Meer, in den Golf von Korinth.

Auf dem Weg sind wir durch Tripolis gekommen, der in der Mitte des Landes gelegenen früheren türkischen Hauptstadt der Peloponnes. Die Türken wurden nach einer fast 400 Jahre währenden Herrschaft mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nach und nach aus Griechenland verdrängt, dabei haben sie im Kampf um Tripolis die Stadt im Jahre 1828 vollständig zerstört.

Die Türken haben Griechenland in den Jahren seit der Eroberung um das Jahr 1450 herum nach meinem Eindruck sehr geprägt, auch wenn ihre Herrschaft immer wieder durch Phasen anderer Herrschaften, etwa der venezianischen, in Teilen des Landes, unterbrochen wurde. Vermischt haben sie sich nicht miteinander, jedenfalls meint man in den Straßen einen Typ von Menschen zu treffen, der in Tripolis und Nauplia anders ist als in Istanbul. Auch wenn es keine göttergleichen Jünglinge und Jungfrauen mit dem „klassisch griechischen“, Stirn und Nase zu einer einzigen Linie verbindenden Profil sind, wirken sie doch insgesamt als ein deutlich von den anderen Bewohnern des europäischen Mittelmeers, etwa den Spaniern oder Italienern, aber besonders von den Türken unterscheidbarer Typus.

Trotzdem haben sie auch etwas mit den Türken gemeinsam. Das ist nicht nur ihre an die sommerliche Gluthitze angepaßte Lebensart, es ist auch ihre Küche, die offenbar eine über den östlichen Mittelmeerraum in der Zeit der Sultansherrschaft entwickelte Gemeinschaftsküche ist, es ist die klagende, halbtonreiche Musik, die wir auf der Fahrt im Radio hören. Vielleicht wäre es für den Frieden in Europa wenn nicht in der Welt besser, wenn die gemeinsame konfliktreiche Geschichte der beiden Länder einmal unter dem Gesichtspunkt der Gemeinsamkeiten neu erzählt werden könnte.

Das alte Weltreich des Sultans in Istanbul hat den beherrschten Völkern nicht nur Nachteile gebracht, es war vermutlich eine große Freihandelszone mit überall gleicher Währung, gleichen Maßen, Gewichten und Gesetzen, und die Griechen konnten genauso wie heute in der EU ihre Korinthen zu guten Preisen in die ganze Welt liefern. Außerdem - wenn die Griechen es fremden Völkern übelnehmen wollen, daß sie ihnen die nationale Freiheit vorenthalten haben, müssen sie bei den Mazedoniern anfangen, die 338 v. Chr. die Athener besiegt und eine Periode der Fremdherrschaft begonnen haben, die über die Zeit der Römer, der Goten und Vandalen, der Slawen, Kreuzfahrer, verschiedener Italiener und Franzosen erst ganz am Ende in der Herrschaft der Türken endete.

Nationale Souveränität ist ein Gedanke der modernen Zeit, und es war ein Zufall, daß gerade die Türken im Lande waren, als er auch in Griechenland erwachte. Er läßt sich am besten in den großen übernationalen Zusammenschlüssen ausleben und sichern. Deshalb wage ich die kühne Behauptung, daß es im Interesse auch der Griechen ist, die Türken nicht nur als Mitglieder der NATO zum Nachbarn zu haben, sondern auch als Mitglieder der EU.

In Ταβερνα (quando sumus)

 


Wir beschlossen die Zeit in Nauplia mit einem Fischessen in einem kleinen Hafen, etwa 10 km südlich unseres Ortes. “Ταβερνα“ / Taberna steht in der Regel an den Restaurants, was mir immer die Orffschen Gesänge ins Ohr spielt, die wir in der Schule durchnahmen.

Mit etwas googeln fand ich den Text wieder:

In taberna quando sumus,
non curamus quid sit humus.

und auch die Übersetzung:

Wenn wir sitzen in der Schenke,
Fragen wir nichts nach dem Grabe.

Ja, der Mensch soll „um der Liebe und Güte willen dem Tode keine Macht einräumen über seine Gedanken“, wie Thomas Mann es im Zauberberg gesagt hat. Deshalb kann ein gelegentliches Glas Wein durchaus glaubensstärkend wirken.

In Taverna (mit Musik)

 

Dienstag, 10. Juli 2007

Herr Daxeder und das Glück des Irrtums

 

Die milde geistige Verwirrung, die meine Mutter in ihren letzten Lebensjahren überfiel, äußerte sich unter Anderem darin, daß sie mir Menschen mit Namen vorstellte, die in keinem Fall stimmen konnten. So behauptete sie etwa, der Krankenpfleger auf ihrer Station sei Walter Kempowski, ich würde das, gleich wenn er käme, auch sofort selbst erkennen. Zu meiner Überraschung war der Mann dann dem Schriftsteller tatsächlich nicht ganz unähnlich. Später hatte sie für fast alle Patienten ihres Pflegeheims eigene Namen gefunden, und bei den Leuten, deren Doppelgänger aus dem wirklichen Leben ich kannte, habe ich oft über die Ähnlichkeit lachen müssen.

Auch mich befällt in der letzten Zeit häufiger die Verwirrung, Menschen in anderen Personen wiederzuerkennen, die sie mit Sicherheit gar nicht sein können.



So entdeckte ich bei der Gepäckausgabe im Athener Flughafen den mir persönlich gut bekannten Herrn Daxeder von der Elektrofirma RSC Daxeder & Schluckwerder GmbH in Remscheid. Herr Daxeder trat in der Verkleidung eines orthodoxen Popen auf. Glücklicherweise gab mir auch meine Frau Recht: die Ähnlichkeit war vorhanden.




Ich dachte später an eine Geschichte aus dem alten Griechenland. Ein Mann aus Athen war für einige Jahre in eine geistige Verwirrung gefallen, die ihn glauben ließ, er sei der Eigentümer aller Schiffe im Hafen von Athen. Tag für Tag saß er mit einem Haufen Papieren an der Hafeneinfahrt, führte über alle Schiffsbewegungen genau Buch, begrüßte die einlaufenden Schiffe und winkte den auslaufenden zum Abschied zu. Später heilte seine Verwirrung wieder, und er erkannte den Unsinn seines Tuns. Seinen Freunden erzählte er aber, die Zeit, in welcher er im Irrtum gelebt habe, sei die glücklichste seines Lebens gewesen.

Vielleicht ist es auch meiner Mutter so gegangen. Wir haben sie alle sehr bedauert, in den letzten Jahren ihre Lebens, aber wenn wir sie fragten, wie es ihr gehe, sagte sie immer "Gut!" Und es klang, als ob diese Auskunft aus tieferen Schichten ihrer Seele kam.

Montag, 9. Juli 2007

Louis Antoine de Bougainville

 


Heute loben wir den französischen Seefahrer Bougainville, der zu Zeiten der französischen Revolution seinem Land gedient hat und auf seinen weiten Entdeckungsreisen in südlichen Breiten eine besondere Blume durch seinen Schiffsarzt systematisch beschreiben und schließlich nach seinem eigenen Familiennamen benennen ließ. Sie ist ein Sinnbild für das Leben in den warmen Ländern und seit längerem auch im Mittelmeerraum heimisch, die Bougainvillea.


 



In meiner Erinnerung an Romane aus Lateinamerika und der Karibik schmückt sie dort die Straßen und reichen Gärten. Auch Ernst Jünger, der ein großer Pflanzenkenner war, findet und benennt sie häufig in seinen Reisetagebüchern.


 



Wir identifizieren anhand eines Wikipedia-Artikels mehrere große Gewächse im Ort als Bougainvilleen. Sie übertreffen den hier vorherrschenden und ebenfall überall wunderbar blühenden Oleander durch die noch sattere Durchdringung mit Farbe. Die Pflanze erreicht diesen Effekt, indem sie die letzten drei großen Blätter, die sich um eine kleine weiße Blüte bzw. um die Fruchtblätter herum gruppieren, bunt einfärbt. Wir sehen sie hier immer in lila, aber auch eine lachsfarbene oder weiße Blüte kommt wohl vor. Große Sträucher in der hellen Sonne wirken mit ihren ungezählten Blüten fast blendend, wie die Rakete eines Feuerwerks.

Bougainville hat durch Berichte aus der Südsee sehr zum Traum vom Leben edler Wilder in unendlicher Schönheit und großer sexueller Freiheit beigetragen. Dieser Traum gehört untrennbar zu der Welt von Gedanken, die zur Revolution geführt haben. Nicht umsonst ist das Revolutionsjahr 1789 auch das Jahr der Meuterei auf der Bounty. Mit ihrem Aufstand auf dem Schiff wollten sich die Matrosen den Weg zu einem Leben voller Sonne und schöner Hula-Mädchen eröffnen. Einige haben ihn wohl auch gefunden. Ihr Traum ist jedenfalls bis heute in den Köpfen der Menschen des Westens nicht erloschen.

Bergwelt

 

Die Berge der Peloponnes erreichen Höhen bis zu 2.400 m. Eine Rundfahrt zu den Stätten, die der Reiseführer empfiehlt, und die wir wegen der großen Hitze meist erst nach vier Uhr im wunderbar kühlen Hyundai Accent beginnen,
führt meist zwangsläufig über Paßstraßen und über Höhen mit einem großartigen Ausblick. Unser „Daumen“ der Peloponnes, auf dem wir uns überwiegend bewegen, hat Berge bis zu 1.200 m, aber auch von ihren Paßhöhen herunter sieht man weit ins Land hinein, in ein Land mit vielen Abwechslungen.

Gestern sahen wir in der untergehenden Sonne das Meer und dahinter fünf oder sechs Reihen von Bergen, deren blaue Farbe sich je nach Entfernung von einer dunklen Silhouette bis zu einem zarten Pastellton veränderte. Es war ein zauberhafter Eindruck, den der Fotoapparat erwartungsgemäß nicht wiedergeben konnte. Hier muß man die Seele öffnen und ihr die Bilder zum Abspeichern überlassen.

In den Hochtälern wachsen Oliven und Zitrusfrüchte, in einem der Täler sahen wir auch Getreidefelder. Schäfer treiben ihre Herden über trockene Wiesen. Der Reiseführer schwärmt von der „typisch griechischen“ Romantik dieser Landschaften. Er hat Recht und wiederum auch nicht. Dieses Land ist nur romantisch, wenn man es aus dem klimatisierten Auto wie aus einer Raumkapsel heraus betrachtet. Hält man an und steigt aus, um ein Foto zu machen, fällt einen die brüllende Hitze, die durchgängig, auch auf 1.000 m Höhe, bis in die Abendstunden hinein 35 bis 38 Grad erreicht, an wie ein Raubtier.

Es ist außerdem nur romantisch, wenn man den Blick aus größerer Entfernung darüber schweifen läßt. Von nahem erkennt man, wie sehr die meisten Gebiete entlang der Straße aber auch abseits davon durch Müll, vornehmlich Plastikflaschen und Verpackungen, verunziert ist. Meine Versuch, einen der malerischen Olivenbäume, die besonders in Windböen wunderbar silbern aufglänzen, in voller Schönheit zu fotografieren, scheitere meist an einem Stück blauer Folie oder einer weggeworfenen Wasserflasche, die zu seinen Füßen lagen und auf dem Foto häßlich wirkten.

Man gewinnt den Eindruck, das beides zusammengehört: Hitze und Müll, denn das erste macht es schwer und fast sinnlos, sich zu bücken und das zweite zu beseitigen.

Sonntag, 8. Juli 2007

Strangers in the night

 




Das Aufkommen der digitalen Fotoapparate, von denen hier jeder mindesten einen mit sich herumführt, hat das Fotografieren so alltäglich gemacht, daß es niemand mehr beachtet und auch kaum noch jemand mit Verboten darauf reagiert. Man könnte diese angesichts der zigarettenschachtelgroßen, in der hohlen Hand versteckbaren Geräte wohl auch gar nicht durchsetzen. Selbst Museen wie die Hagia Sophia, die früher mit Fotografierverboten den Vertreib eigener Druckprodukte zu fördern versuchten, erlauben es heute und wehren nur mit einem eher müden "No Flash!" dem exzessiven Gebrauch der kleinen Apparate.


Man kann jetzt diese neugewonnene Liberalität ausnutzen und sich im zusätzlichen Schutz der hereinbrechenden Dunkelheit auf die Fotosafari begeben. Dabei heftet man sich dann unbemerkt den schönen Frauen an die Versen und schießt wie ein Papparazzi auf sie. Leider muß ich nachträglich sagen, daß dieser Post, den ich später noch einmal korrigiert habe, bei meinen Kindern auf Kritik gestoßen ist. Man mag keinen Papa Razzi. Das kann ich verstehen, aber auch über die dunklen Seiten meiner Existenz will ich hier doch zumindest andeutungsweise berichten.


Ich fand im Theater von Epidauros ein Zielobjekt, welches ich Astrid Permanidis nannte:



 












Da ich bei meiner nächtlichen Jagd keinen Blitz verwende, bleiben die Gesichter undeutlich und verwischt, gerade so wie meine unkonkrete Erinnerung an sie und meine noch weniger konkrete Leidenschaft für sie, die ich natürlich nie offen zum Ausbruch kommen lassen würde, denn Christiane ist ja beim Fotografieren dabei.

Die nebenstehende Königin der Nacht hat keinen Namen, sie heißt vielleicht Margret Rieso, weil sie deren Schönheit nahe kam, ohne sie allerdings zu erreichen.

Sie habe ich mehrfach in der Stadt gesehen und heimlich fotografiert. Von ihr sind auch die Fotos oben.

Mistär

 




Lias Eltern
(sie selbst wollte nicht fotografiert werden)




 




Lia, die Juniorchefin unseres Hotels, hört nicht auf, mich „Mister“ zu nennen, gesprochen „Mistär“, obwohl ich es ihr verboten habe. Sie soll mich Christian nennen, aber von solchen amerikanischen Verbrüderungssitten ist sie natürlich Lichtjahre entfernt. Nein, sie bleibt beim etwas servil klingenden „Mistär“, was sich aber an ihrem ansonsten sehr bestimmenden Wesen eigenartig reibt.

Was für ein Chef Lia Dimitris* sein kann, zeigt sich bei den ersten Einweisungen. Über den Felsenweg zum Strand gehen? „No!! – Mistär!!“ mit dem erhobenen Zeigefinger einer Lehrerin und wild rollenden Augen. Der Weg ist unbeleuchtet, man kann abstürzen oder Drogenhändlern über den Weg laufen oder beides. „No!! Mistär, No!!“ Und der Mister duckt sich verlegen.

„But tomorrow!“ Das Gesicht der strengen Pädagogin hellt sich auf. „Tomorrow: – – Yes!! Mistär!!“ Am hellen Tag traut sie mir zu, den Weg unbeschadet zu gehen. Der Mister richtet sich erleichtert wieder auf.

Wenn ich sie etwas über die griechische Sprache frage, antwortet sie lange und ausschweifend, deshalb habe ich es aufgegeben. Außerdem kokettiert sie ständig mit ihrem schlechten Englisch und möchte am liebsten mitten im Satz vor Verzweiflung über ihre unzureichenden Vokabeln das Erklären ganz drangeben.

Ich fragte nach dem Parakleten aus Johannes 14, dem Tröster und Beistand. Ist er auch der, welcher laut Losungen vom 4. Juli die Leidtragenden aus Matthäus 5,4 parakaleo / tröstet? Geht er auch als Anwalt mit zu Gericht? Großer Wortschwall, die Mutter wird hinzugezogen, was die Sache weiter verkompliziert. Irgendwie kommt noch „parakallo“ ins Spiel, mit dem man auf „evcharisto“ (danke), antwortet: "parakallo" (bitte)! Am Ende Verwirrung.

Am Samstagabend sitzt Lias Mutter, die mich ebenfalls mistert, wie immer in einer Ecke ihres Empfangsraumes hinter einem Computer. Still working so late? - No, Mistär, Scräbbäl!

Sie spielt Scrabble über das Internet. Ob sie auch schummelt, wie früher meine Mutter, frage ich? (Die machte aus Brotbeutel noch schnell „brotbeuteln“, ihrer Überzeugung nach eine bayrische Sitte, Brotbeutel zu werfen). Madame Dimitris versteht „cheat“ nicht. Ich versuche es einfach: some words are good, some are bad, some so and so. Does she try to use bad words? Sie strahlt stolz: Yes, Mistär!

* Der Name ist geändert, damit sie sich beim googeln hier nicht wiederfindet. Der richtige Name beginnt mit Ana geht weiter mit gnos und dann taki.

Kuppelbauten

 

Die Kirchen hier in Griechenland haben fast allesamt Kuppeln und sind dadurch den Moscheen der Türken nicht unähnlich. Ich las vor vielen Jahren bei Ernst Badstübner, daß die Kuppelbauten einen von zwei grundlegenden Wegen des Kirchenbaus beschreiten, den Weg des Zeltes der Versammlung. In runden Bauten erfährt sich die versammelte Gemeinde als Einheit. Den anderen Weg zeigt der schlanke, lange Bau der Basilika auf. Dort erfährt sich die Gemeinde als auf ein Ziel, eine Erkenntnis, eine Offenbarung hin ausgerichtet.

Wie alle prinzipiellen Unterscheidungen hat auch diese den Reiz einfacher, sofort nutzbarer Einsichten. Man legt die Meßlatte des Grundsatzes an das an, was man sieht, und siehe, es wird erklärbar. Hier am Ort merke ich aber auch, was an der Theorie zu einfach ist und deshalb nicht stimmt. Die Kuppel der hiesigen Hauptkirche Agios Giorgios wölbt sich dunkel und majestätisch über einem Raum, der salopp gesagt zur Kuppel gehört wie die Kaffeedose zum Deckel, anderseits aber die Kuppel gar nicht wahrzunehmen scheint. Zentrales Element des Raumes ist die große Ikonenwand, mit silbernen Säulen, Stockwerken und Fenstern, aus denen unzählige Heilige schauen. Sie beherrscht den Raum und nimmt der Kuppel einen großen Teil ihrer Wirkung.




Wenn dies also kein runder Versammlungsort sondern eher eine eckige, wenn auch nicht schlanke sondern quadratische Basilika mit klarer Ausrichtung nach vorne ist, wozu dient dann die Kuppel? Ich habe aus eigener Anschauung zwei Erklärungen.

Die eine ist: sie ist eine Art innerer Kirchturm. So wie die Türme „weströmischer“ Kirchen ein beständiger Hinweis auf den Wohnort Gottes waren, so sind es auch die Kuppeln. Auch sie zeigen nach oben. Ihre Botschaft ist zwar etwas sanfter, weil ja die Spitze fehlt, dafür ist sie aber, anders als bei den Türmen, von außen und von innen erfahrbar.

Die andere Erklärung lehnt sich an den Gedanken der Kaffeedose an – oder etwas festlicher an die Anschauung der kleinen Metall-„Kuppeln“, die in feinen Restaurants vor dem Servieren auf die Teller gesetzt werden und vom Kellner am Tisch dann mit geübtem Schwung abgedeckt werden. So fein wie das so dargebotene Essen ist auch der Inhalt von dem, was unter der Kirchenkuppel verschlossen ist, könnte die Botschaft der Wölbung sein.


Das ewige Vorbild dieser Kirchen, die Hagia Sophia, hatte eine besonders feine Kuppel. Die Menschen damals haben gesagt, sie wirke so leicht und schwebend, als sei sie am Himmel aufgehängt. Vielleicht kommt dieser Eindruck zurück, wenn die derzeit laufenden Renovierungsarbeiten an der Kuppel abgeschlossen sind. Jedenfalls könnte die noble, mathematisch perfekte Gestalt der Kuppel meine Kaffeedosen-Theorie unterstützen: hier wird etwas besonders Wertvolles verwahrt.

Flieger

Seit einigen Jahren hat sich im Bereich der Vielflieger, also der häufig beruflich im Flugzeug unterwegs zu findenden Menschen, das Wort „Flieger“ für das Flugzeug eingebürgert. „Wenn ich morgens im Flieger die FAZ aufschlage…“ das deutet an, daß man eine Tätigkeit ausübt, die überregional nachgefragt wird.

Als ich 1967 zur Bundeswehr eingezogen wurde, war ich ebenfalls ein „Flieger“, wobei die Bedeutung des Wortes damals eindeutig auf den untersten Dienstgrad der Luftwaffensoldaten bezogen war. „Flieger Runkel“, so mußte ich mich damals melden, und so muß es seit vorigem Montag auch Matthias tun, der zwar zu einer Abteilung einberufen worden ist, der „Truppe für Operative Information“, die gleichzeitig für Heer, Luftwaffe und Marine tätig ist, deren Soldaten aber formal einer der drei Waffengattungen zugeordnet sind. Matthias ist bei der Luftwaffe und also Flieger.

Wäre er beim Heer, so wäre er „Funker Runkel“, ein Zungenbrecher und gleichzeitig eine Erinnerung an den größten Soldaten nach Napoleon, meinen Vater Adolf. Auch er wurde als „Funker“ eingezogen, zu einer Nachrichtenabteilung. Er war gerne Soldat, liebte die Kameradschaft und das einfache Leben im Feld und die Erkenntnis, daß unter feindlichem Beschuß die Unterschiede der Menschen, was Bildung, Reichtum etc. betreffen, entfallen. Nach dem Krieg, den er durchaus als grausam und zerstörerisch erlebt hat, handelten seine gelegentlichen Albträume nie vom Krieg, sondern immer nur von der Schule.

Aber zu Matthias: gestern telefonierten wir länger mit ihm und fanden einen zwar vom frühen Aufstehen und vom ungewöhnlichen Umgangston etwas genervten aber ansonsten wie immer zuversichtlichen und ruhigen Sohn vor. Ob er den Vorgesetzten denn schneller ein „Ja“ geben würde als den Eltern daheim? Natürlich – ein „Jawoll!“ sogar. Am Ende des Telefonates fragten wir ihn dann wie so oft, ob er uns lieb habe, und er sagte, auch dazu könne er nur einfach „Jawoll!“ sagen.

Samstag, 7. Juli 2007

Die Bilder lernen laufen

Dieses Zwei-Sekunden-Video habe ich vor ein paar Tagen für Jörg Swododa in einem Kloster auf den türkischen Prinzeninseln hergestellt, das seinen Namen trägt: Aya Yorgi. Aya ist Türkisch für "hagios", heilig (Aya Sofya heißt die Hagia Sophia, die heilige Weisheit in Türkisch) und Yorgi ist klar: Georg oder Jörg.

Ich habe bewußt nur zwei Sekunden gefilmt, weil ich das Hochladen von unterwegs fürchtete. Trotzdem hat es sicherlich über eine Stunde gedauert. Glücklicherweise habe ich eine 24-Stunden-Flatrate.

Dem Asklepios einen Hahn opfern




Die berühmten letzten Worte des zum Tode verurteilten Sokrates, der den ihm verordneten Giftbecher schon getrunken hat, und der jetzt die Freunde auffordert, in seinem Namen dem Asklepios als dem Gott der Heilkunst ein Dankopfer zu bringen, enthalten einen verstörenden Gedanken. Von welcher Krankheit wird Sokrates genesen sein, wenn das Gift in wenigen Minuten seine Wirkung getan hat? Es kann nur das Leben selbst sein, aber kann das Leben wirklich im Sinne des Sokrates eine Krankheit sein?

Sokrates ist im Jahre 399 v. Chr. gestorben, sein griechisch denkender und schreibender Kollege Paulus schreibt 450 Jahre später, daß Sterben sein „Gewinn“ ist, ein ähnlicher Gedanke, scheint mir.

Im berühmten Asklepios-Kurort, der Epidauros heißt und in den Bergen des „Daumens“ der Peloponnes gelegen ist, haben die Ärzte viele Jahrhunderte lang den Gewinn des Menschen, und ihren eigenen dazu, in der Erhaltung des Lebens und der Wiederherstellung der Gesundheit gesehen. Es ist eine landschaftlich reizvolle Gegend, wahres Griechenland, in der es riesige Kuranlagen gab, und von der aus damals das medizinische Wissen der Griechen in alle Welt ging. Asklepios soll in der Nähe von Epidauros geboren und von seiner Mutter, einer Königstochter, ausgesetzt worden sein. Sein Vater war der Gott Apollon. Tiere zogen das Kind auf, als es erwachsen wurde, erwies es sich als Wunderheiler.

Auch wenn die Bäder und Heilschlaf-Tempel heute verfallen sind, so ist doch eine Einrichtung der damaligen Kurverwaltung fast vollkommen erhalten geblieben und verschafft Epidauros auch in der Neuzeit wieder frischen Weltruhm: das Kurtheater. Es faßt nach einer Erweiterung um das Jahr 200 n.Chr. herum etwa 12.000 Sitzplätze in 55 Reihen, ist sehr gut erhalten und wird im Sommer für Inszenierungen von Ensembles aus der ganzen Welt genutzt.




Leider liegt der nächste Termin, eine Inszenierung der „Medea“ von Cherubini, zu der u.A. die Capella Coloniensis und die italienische Sopranistin Anna Caterina Antonacci erwartet werden, außerhalb unserer Zeit hier. Aber es gibt an diesem Abend im kleinen antiken Theater unten im Ort an der Küste eine neugriechische Theateraufführung, für die noch Karten erhältlich sind.

Während über uns Venus und Jupiter majestätisch über den Himmel ziehen, das Meer rauscht und die Zikaden geigen, lauschen wir verzaubert dem Stück, leider in dem uns fremden Griechisch, und verstehen kein Wort.

Doch, eines – einmal ruft einer der Schauspieler „Harmonie!“

Die Einführung der Kartoffel in Griechenland



Die kleine Gasse unter unserem Balkon hat am 9. Oktober 1831 den Widerhall der Todesschüsse gehört, die der maniotische Mörder Konstantis Mavromichalis auf den ersten Ministerpräsidenten des von den Türken befreiten Griechenland abgefeuert hat. Sie gingen zwar fehl, und ein Schuß traf statt des zum Kirchgang in St. Spyridon, wenige Meter von hier, angetretenen Präsidenten nur das Mauerwerk neben der Kirchentür, wo man den Einschuß noch heute hinter einer gerahmten Glasplatte betrachten kann.


Aber Konstantis wäre kein echter Maniote, eine Art Sizilianer Griechenlands, gewesen, hätte er nicht sowohl sein Messer als auch seinen Sohn Georgios, ebenfalls mit Messer bewaffnet, kampfbereit bei sich gehabt, und so starb der Präsident unter den Stichen der Mörder.

Er hieß Ioannis Capodistrias (Capo d’Istria in italienisch, was den Namen erklärt) und hatte eine bemerkenswerte Karriere als Diplomat im Dienst des russischen Zaren hinter sich, als ihn die neue Regierung des befreiten Griechenland hier in diesen Ort Nauplia, der damals Hauptstadt war, berief und ihn 1828 zum Ministerpräsidenten machte.

Er fand in vieler Hinsicht chaotische Verhältnisse vor und mußte sich entsprechend um vieles kümmern. Vielleicht hat er dabei die Gewaltbereitschaft der Manioten, die auf dem mittleren Finger der Peloponnes leben und sich den früher ebenfalls dort wohnenden Spartanern verwandt fühlen, unterschätzt. Er hatte einen ihrer Führer, Petrobey Mavromichalis, den Bruder und Onkel der Mörder kurzerhand einsperren lassen, was die Rache der Familie nach sich zog.

Berühmt ist die Geschichte, wie Capodistrias die Kartoffel nach Griechenland einführte. Erste Versuche, der Bevölkerung den Nutzen der stärkereichen Knollen bewußt zu machen, waren gescheitert. Die Griechen mochten das Zeug nicht. Der Präsident verfiel auf eine List: er ließ im Hafen von Nauplia eine Schiffsladung Kartoffeln anlanden und sie durch eine starke Militäreinheit bewachen. Die Griechen, überzeugt, daß nur etwas sehr Teures solchen Schutz verdiente, klauten die Ware säckeweise und fanden Gefallen an dem wertvollen Diebesgut (die Wachen waren eingeweiht und angewiesen wegzuschauen). So wurde Griechenland für die Kartoffel gewonnen.


Übrigens ist Capodistrias auf der Rückseite der 20-Cent-Münze der Griechen abgebildet. Vielleicht findet ihn jemand in seinem Portemonnaie.

Freitag, 6. Juli 2007

Bei König Agamemnon



Unweit von Nauplia liegt Mykene, Hauptstadt des ersten griechischen Reiches, das lange vor Sokrates, Perikles und der Polis in Athen bestand. Seine Blüte lag vor dem Jahr 1000 v. Chr., also grob gerechnet zur Zeit der Pharaonen und des Königs David in Jerusalem. Die Archäologen, unter denen Heinrich Schliemann mit 14 kg Goldschmuck, den er um 1870 dort fand, der bekannteste und erfolgreichste ist, glauben, daß in der weit ausgedehnten Burganlage hinter dem berühmten Löwentor die Könige Homers gelebt haben, die um Troja kämpften.

Im schönen Museum gibt es natürlich keine Briefkastenschilder, auf denen „Hier wohnt Agamemnon“, oder Haushaltsgeräte, auf denen „Tongefäß des Orest“ steht. Aber es gibt auch keine Grabsteine oder sonstige Hinweise auf die reale Existenz der eher mythologischen Figuren Homers. Man geht mit Bedenken durch die kühlen Räume und wünscht sich einen evangelischen Neutestamentler her, der das alles mal entmythologisierend unter die Lupe nimmt.

Aber es gibt dafür wunderbare Tongefäße – und die hübsche Erklärung für die wichtige, fast schon wieder mythische Rolle des Tons: er vereinigt die vier Urelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft in sich. Solche erhellenden Erläuterungen machen das Reisen schön. Ab heute wird man Tonscherben mit anderen Augen ansehen, gelegentlich jedenfalls.