Dienstag, 3. Juli 2007

Gerüche, Geräusche

Wenn ich morgens auf die Straße hinaus gehe, die sich vor unserem Hotel über einige Kurven recht steil den Berg vom Marmarameer zur Konstantinssäule hoch windet, dann sind mir die Gerüche und Geräusche, die mir entgegenschlagen, auf eine eigenartige Weise vertraut. Istanbul hat vieles geändert, aber es riecht noch wie damals, und auch die Geräusche sind dieselben geblieben wie damals.





In der warmen, vom Meer her meist recht feuchten Luft liegt morgens ein Geruch von Eisen, der vermutlich aus den Regenrinnen, Abwasserrohren und unterirdischen Ableitungen stammt, deren Wasser sich mit Hitze vollgeladen hat und den Eisengeruch aus den Rohren wäscht. Aus dem Zement der Häuser riecht es wie aus einer Baustelle, nach dem feinen Staub aufgeschlagener Wände, und die Steine der Häuser riechen nach der Hitze, die sich tagsüber darin gefangen hat und die sie in der Nacht wieder ausströmen. Darüber lagert sich der Geruch von dichtem Autoverkehr, Auspuffgase und abgeriebenem Gummi.


Angenehmer ist es, das in der Türkei immer geschickt aber nie zu reichlich gewürzte Essen zu riechen. Viele Grills arbeiten mit einer feinen Holzkohle, die man selbst noch in dem Pürree aus Auberginen schmeckt, das man aus dem Fleisch der angebratenen Seite schabt. Im Brot sind feine Gewürze, die man aus den Bäckerläden riecht. Alles rieche ich, alles weckt Erinnerungen.


Die Nase ist das dem Gehirn nächste Sinnesorgan, das kann eine Erklärung dafür sein, warum ihre Reize so auffallend stark auf unser Erinnerungsvermögen einwirken.

Mir war es an einem Morgen mit einem Aml so, als ob mit den Gerüchen der Straße und mit den sich damit verbindenden Erinnerungen ein übergroßer Teil meiner Vergangenheit zurück ins Leben gerufen würde, viel größer und umfassender als es die zwei Monate, die ich 1971 hier verbracht habe, überhaupt ermöglichen. Nun ist Istanbul allerdings vielleicht die einzige Stadt, die mir mit aller ihrer geballten Kraft für eine Periode länger als ein paar Urlaubstage lang begegnet ist, Remscheid als Heimatstadt nicht, es war zu diffus in seinen Gerüchen, und die Studienorte habe ich nie als Gesamtheit wahrgenommen. Istanbul habe ich damals jeden Tag von Norden nach Süden und zurück durchquert, war seinem heißen Sommerwetter und seinen unverständlichen Ordnungen ausgeliefert.

Damals habe ich den Geruch vielleicht gehaßt, und vielleicht hat das die Erinnerung so stark gemacht. Heute verstehe ich den Geruch besser und sehe, wie Menschen in seinem Dunstkreis ein ganzes Leben von Anfang bis Ende durchleben, es dort beginnen, führen und beschließen.

Daß das Leben der anderen Menschen ein Wibbeln und Kribbeln ist, hat so oder ähnlich Theodor Fontane gesagt. Es ist ein Wort mit zwei Seiten. Einerseits möchte man es nicht auf das eigene Leben angewandt wissen, weil man als einzelnes Ich leben und nicht im vielfältigen Es untergehen will. Entsprechend empfindet man aus einer gewissen Barmherzigkeit heraus die Lebensbedingungen anderer Menschen, wie sie etwa durch heiße und staubige Straßen „kribbeln", als nicht akzeptabel. Andererseits ist gerade das, was uns als erschwerend und Mühe machend erscheint, das gewohnte Umfeld, an das sich andere angepaßt haben, es als Heimat ansehen und geschickt verstehen, sich an ihr Ziel zu wibbeln.


Vielleicht hat meine Nase in diesen Tagen ein wenig von diesem Heimatgefühl mitbekommen.

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