Freitag, 6. Juli 2007

Orhan Pamuk


Es war nicht schwer, die Spuren des Literaturnobelpreisträgers von 2006, Orhan Pamuk, zu finden. Der Polizist vor der kleinen Polizeistation in der Teşvikkiye Caddesi, in der die verzweigte Familie von Pamuks Eltern und Großeltern ein ganzes mehrgeschossiges Haus besaß und bewohnte, an dem „Pamuk Appartements“ stand (wie man in seinem jüngsten Buch „Istanbul – Erinnerungen an eine Stadt“ nachlesen kann), zeigte die Straße hinauf: 100 Meter, auf der linken Seite.

Das Schild „Pamuk Appartements“ ist nach wie vor vorhanden, Pamuk wohnt auf einer der Prinzeninseln, aber er hat mittlerweile eine der Wohnungen des Hauses zurückgekauft, um eine Stadtwohnung zu haben. Von den sechs Klingelschildern sind zwei leer, da wird er wohl wohnen, denkt man, und öffentliches Erscheinen vermeiden. Eine freundliche junge Frau kommt gerade aus dem Haus. „Orhan Pamuk bu eve oturiyor?“ ob er in diesem Haus wohnt? „Evet!“ Ja! – und beinahe hätte sie auf eine der leeren Klingeln gedrückt, aber wir wollen den berühmten Mann ja nicht stören.

Ob er sich nicht gegen Mörder schützt, denkt man, die ihm nach seinen offenen Worten über den Völkermord der Türken an den Armeniern Todesdrohungen geschickt haben? Aber der Gedanke an finstere Fundamentalisten liegt in dieser Straße mit ihrem Pariser Chic weit, weit entfernt.

Bülent, dessen Büro nur 50 m entfernt liegt, kennt Pamuk aus der gemeinsamen Zeit im feinen „Robert College“, er war Klassenkamerad des älteren Bruders Şevket, der immer ein „vernünftiger“ Mann gewesen sei, Orhan, etwa zwei Jahre jünger, sei dagegen etwas eigenartig gewesen, ein Träumer. Bülent hat eines der Bücher von Pamuk zu lesen begonnen, es aber wieder zur Seite gelegt. Er fand es langweilig, ein Urteil, das mir auch Peter Oberschelp in gleicher Weise weitergab und das ich bestätigt fand – allerdings nur für die Romane, nicht für das Istanbul-Buch.

Die Spuren von Pamuks altem Istanbul sind alle verwischt, von der modernen Stadt verschluckt und überbaut. Ich merke das auf dem Weg zu dem ganz in der Nähe gelegenen Studentenheim, in dem ich damals gewohnt habe. Ich finde es zwar schnell wieder, aber die Straße, in der es liegt, ist vollkommen verändert. Laden an Laden reihen sich hier, in den noblen nördlichen Vierteln Osmanbey und Nişantaşı die Textilgeschäfte und bedienen offenbar nicht nur die örtliche Kundschaft, sondern dienen als Zentrum des Großhandels nach Rußland und in den weiteren Raum um das Schwarze Meer herum. Mein altes Teehaus, in dem ich Tavla spielte, ist abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der in der ersten Etage sehr hübsch mit Holz verkleidet ist und den Stil des alten Istanbul zitiert. Weitere Etagen darüber strecken sich in blaugrünem Glas in den Himmel, gerade als wäre hier Atlanta oder Dallas.

Ich denke an die Touren „Auf den Spuren von…“, von Paulus, von Jesus, von Caesar. Unsere Wege über die Erde hinterlassen keine Spuren, jedenfalls nicht solche, die uns die Gegenwart desjenigen, der einmal an einem bestimmten Ort verweilte, wieder lebendig machen kann.

1 Kommentar:

carolin hat gesagt…

So leben Studenten heute in Istanbul:
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,484175,00.html