Mittwoch, 18. Juli 2007

Großvater Georgos und Georgos, sein Enkel

 




Georgos der Großvater (als Soldat)

 









Die kleine freikirchliche Gemeinde am Ort ist durch die Nachkommen von Marias Vater Georgos geprägt. Dieser "Jorgos", wie man Neugriechisch sagt, wurde um 1910 geboren und lebte bis in die 80er Jahre. Er wurde beim Überqueren der damals neuen Nationalstraße am Rande des Dorfes von einem Auto erfaßt und getötet. Er wurde 76 Jahre alt. Sein Enkel, der zweite Georgos, denn von den Söhnen heißt niemand so, starb nur wenige hundert Meter von der Unfallstelle des Großvaters entfernt auf derselben Schnellstraße. Sein Auto schleuderte mit hoher Geschwindigkeit in eine Betonwand, und Georgos war auf der Stelle tot. Das war im vergangenen Jahr, und der junge Mann war nur 21 Jahre alt.



Georgos der Enkel

 








Sein Tod wirft einen dunklen Schatten über das Leben der Familie und auch über das Leben der Gemeinde. Für die Gemeinde war in seiner Person die Hoffnung begründet gewesen, daß er wie Großvater Georgos und wie Vater Pavlos, der die Gemeinde leitet, sonntags predigt und auch die Orgel spielt, eine Stütze und Säule der Gemeinde werden könnte. Er war auf dem Weg dazu, jeder mochte den hübschen und liebenswürdigen, etwas stillen jungen Mann.

Wenn man mehr über die Umstände seines Todes erfragt, wird deutlich, daß er menschlich gesprochen zu verhindern gewesen wäre, wenn man dem jungen Georgos gelegentlich einmal gepredigt hätte, daß zum Frieden mit Gott auch ein friedliches Verhalten im Straßenverkehr gehört. Er war als ein hitziger Autofahrer bekannt, und nach seinem Tod erinnerte man sich an Fahrten mit ihm, bei dem manchem Beifahrer der Angstschweiß ausgebrochen war.

Ich war ebenfalls ein hitziger Autofahrer und bin es teilweise heute noch. Auch mir hat niemand gepredigt, daß man über die Bibel und den Glauben vielleicht zu einer anderen Fahrweise gelangen könnte. Ich frage mich, ob man nicht aus dem Tod des frommen jungen Mannes Konsequenzen ziehen und anders predigen sollte.

Diese Frage erscheint auch noch von einer anderen Seite her notwendig und sinnvoll zu sein. Die kleine Gemeinde, in der Vater Pavlos mit Treue, Leidenschaft und einer umfassenden Bibelkenntnis predigt, kämpft um ihre Existenz, kämpft gegen das Aussterben und um die finanziellen Grundlagen, ein neues kleines Gebäude für einen Andachtsraum zu finden.

Ich bin seinen insgesamt drei Predigten, die mir in zwei Gottesdiensten von dem neben mir sitzenden freundlichen Deutschgriechen Nikolaus übersetzt wurden, und von denen alle randvoll mit guten Bibelworten und immer mindestens eine Viertelstunde lang waren, mit großer Sympathie gefolgt und habe die brennende Liebe des Predigers für seine Bibel aus nächster Nähe miterleben können.

Nun würde ich trotzdem nicht so predigen wie er, könnte es auch gar nicht, weil ich nicht in der Lage wäre, die unmittelbare Wirkung des Bibeltextes so kraftvoll aufrecht zu erhalten, wie Pavlos es tut. Er liest im Grunde genommen die Bibel vor und wiederholt und unterstreicht das gelesene nur kurz mit seinen eigenen Worten. Das wirkt auf die Zuhörer stark und vollmächtig.

Es läßt aber anderseits konkrete Bezüge zu den kleinen Dingen des Alltags fast völlig aus. Alles wird zu einem großen Drama, in dem es um die Herrschaft Gottes in der Welt, die Anfechtung seiner im Glauben brennenden Gemeinde, die Freude auf seine Wiederkunft geht. Von den alltäglichen Dingen, dem Frieden mit seinem Nächsten, der schwierigen Suche nach Ordnung und Sinn im eigenen Leben ist nicht die Rede - und entsprechend natürlich auch nicht vom Verhalten im Straßenverkehr.

Ich stelle mir vor, daß die rußlanddeutschen Gemeinden ähnliche Predigten hören. In den Gesichtern der beiden jüngeren Söhne meine ich, eine unbeteiligt wirkende Ruhe gesehen zu haben, mit der sie die hundertfach gehörten Worte eher über sich ergehen ließen als sie wirklich mit Überzeugung aufzunehmen. Von den älteren Schwestern hörte ich, daß sie alle mit guten und frommen Männern verheiratet sind - aber im 200 km entfernten Athen, wo die Prediger der dortigen Gemeinden eine etwas stärker weltzugewandte und jugendgemäße Sprache gefunden haben, und wo vielleicht auch das Regiment des starken Vaters nicht mehr zu sehr wirkt.




Pavlos und Sophorinia ("Niza")



 




Es ist schön, Pavlos Gastfreundschaft zu genießen und von seinem Haus, das wie ein einzelnes Gehöft hoch über dem Ort in ausgedehnten, von Pavlos bewirtschafteten Olivenhainen liegt, den Sonnenuntergang über dem Golf zu sehen. Statt des Ouzos, der beim Rest der Familie zum Alltag gehört, stehen bei ihm frische Früchte auf dem Tisch, Kirschen, Nektarinen und kleine süße Birnen.

Es ist eine große, lebendige Familie, sie wird sich gegenseitig helfen, den Tod des Sohnes und Bruders zu überstehen. Aber er fehlt und ist in seinem Fehlen immer wieder gegenwärtig. Man zeigt uns die Hochzeitsbilder der drei hübschen Schwestern. Georgos ist natürlich auf vielen Fotos ebenfalls zu sehen.

Seine Mutter Niza zeigt mir zum Schluß auch Bilder, auf denen er allein zu sehen ist. "Jorgos!" sagt sie mit Tränen in den Augen und zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. "Uranos!" im Himmel, da ist er jetzt. Ja, Uranos, wiederhole ich. Uranos.

Keine Kommentare: