Dienstag, 10. Juli 2007

Herr Daxeder und das Glück des Irrtums

 

Die milde geistige Verwirrung, die meine Mutter in ihren letzten Lebensjahren überfiel, äußerte sich unter Anderem darin, daß sie mir Menschen mit Namen vorstellte, die in keinem Fall stimmen konnten. So behauptete sie etwa, der Krankenpfleger auf ihrer Station sei Walter Kempowski, ich würde das, gleich wenn er käme, auch sofort selbst erkennen. Zu meiner Überraschung war der Mann dann dem Schriftsteller tatsächlich nicht ganz unähnlich. Später hatte sie für fast alle Patienten ihres Pflegeheims eigene Namen gefunden, und bei den Leuten, deren Doppelgänger aus dem wirklichen Leben ich kannte, habe ich oft über die Ähnlichkeit lachen müssen.

Auch mich befällt in der letzten Zeit häufiger die Verwirrung, Menschen in anderen Personen wiederzuerkennen, die sie mit Sicherheit gar nicht sein können.



So entdeckte ich bei der Gepäckausgabe im Athener Flughafen den mir persönlich gut bekannten Herrn Daxeder von der Elektrofirma RSC Daxeder & Schluckwerder GmbH in Remscheid. Herr Daxeder trat in der Verkleidung eines orthodoxen Popen auf. Glücklicherweise gab mir auch meine Frau Recht: die Ähnlichkeit war vorhanden.




Ich dachte später an eine Geschichte aus dem alten Griechenland. Ein Mann aus Athen war für einige Jahre in eine geistige Verwirrung gefallen, die ihn glauben ließ, er sei der Eigentümer aller Schiffe im Hafen von Athen. Tag für Tag saß er mit einem Haufen Papieren an der Hafeneinfahrt, führte über alle Schiffsbewegungen genau Buch, begrüßte die einlaufenden Schiffe und winkte den auslaufenden zum Abschied zu. Später heilte seine Verwirrung wieder, und er erkannte den Unsinn seines Tuns. Seinen Freunden erzählte er aber, die Zeit, in welcher er im Irrtum gelebt habe, sei die glücklichste seines Lebens gewesen.

Vielleicht ist es auch meiner Mutter so gegangen. Wir haben sie alle sehr bedauert, in den letzten Jahren ihre Lebens, aber wenn wir sie fragten, wie es ihr gehe, sagte sie immer "Gut!" Und es klang, als ob diese Auskunft aus tieferen Schichten ihrer Seele kam.

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